Ein eskalierter Zusammenstoß und unerwartEin eskalierter Zusammenstoß und unerwartete Shopping-Beute

Es trug sich an einem Tag zu, der hätte sein können, wie jeder andere. Noch am Vormittag gab es bei der Arbeit keine Zwischenfälle, alles folgte der Routine. Die Mittagszeit näherte sich, ich beschloss, wie oft in meiner Pause, einen Bummel durch die Läden der Münchner Innenstadt zu unternehmen.

 

Was nicht ganz ungefährlich ist, denn die Verlockung Geld auszugeben, ist groß, wenn man die vielen Auslagen betrachtet. Verheißungsvoll liegen druckfrische Bücher aufgestapelt, immer neue Kleidung tragen die Schaufensterpuppen und ständig gibt es Schnäppchen, bei denen man nur mit Mühe mit leeren Händen aus dem Laden kommt.

Weil Geld ja nicht vom Himmel fällt und weil ich schon lange nicht mehr in dem betreffenden Geschäft war, schlenderte ich zur Sonnenstraße und bog in den second-hand-Laden für Kleidung ein. In diesem Fall bedeutet second-hand allerdings nicht, dass die Mehrzahl der angebotenen Artikel vorher von anderen Leuten getragen wurden. In der Regel hängt hier Neuware, die andere Läden nach dem Schlussverkauf noch übrig hatten. Ich freute mich also, einem bunten Stil-, Farben-, und Material-Gemisch zu begegnen, Oma-Blusen neben ultraengen Skinny-Jeans für Teenager zu finden, bunte Walle-Shirts bei cleanem Business-Chic. Ebenso vielfältig wie das Angebot, setzt sich die Kundschaft zusammen. Doch die meisten vereint, dass sie ihr Geld nicht gedankenlos unters Volk werfen können. Die Münchner Schickeria trifft sich hier nicht.

 

Also rein in den Laden, die Kleiderständer mit meiner Konfektionsgröße angesteuert. Mal sehen, ob ich diesmal etwas finden würde, das mir gefällt. Denn fündig zu werden, ist hier reine Glückssache.

 

Während ich um die Hosen strich, hier und da eine herauszog und für unattraktiv befand, dann weiter zu den Blusen schlenderte, dachte ich noch nicht darüber nach, dass ich statt eines Kleidungsstückes vielleicht etwas anderes finden konnte. Außer mir geisterten nur ein paar wenige Kunden durch den Laden.

 

Als ich gerade von den Blusen, die mich auch nicht überzeugten, zu den Pullovern wechselte, erhob sich eine schrille Stimme. Laut, so dass jeder im Laden es hören sollte, rief sie: "Machen Sie mir Platz!" Sofort richteten sich alle Augen und Ohren auf die empörte ältere Dame. Meine auch. Die Frau stand in der gegenüberliegenden Ecke des Ladens, neben ihr ein Mann mit vermutlich indischen Wurzeln. Mein erster Gedanke: Der Laden ist fast leer, wie kann man hier keinen Platz haben?

Der Mann blieb ratlos stehen, die Frau ging ihn an. "Lassen Sie mich durch, das ist ja eine Frechheit. Sehen Sie? Sehen Sie? Sehen Sie, wie unverschämt er sich aufführt?", wandte sie sich ans Publikum. Der Mann hob abwehrend die Hände, suchte in den schauenden Gesichtern nach Unterstützung. "Aber Sie können doch vorbei", sagte er. Doch, statt vorbeizugehen, das ungute Zusammentreffen hinter sich zu lassen, drehte die Frau erst richtig auf. "Das ist mein Land, nicht Ihres. Gehen Sie dahin, wo sie herkommen. Gesindel, Pack!", rief sie. "Sie haben hier nichts zu suchen!"

"Ich lebe hier seit zwanzig Jahren, habe hier studiert -", stammelte der Mann. Die Hände beschwichtigend erhoben, wich er rückwärts.

 

Die Frau wandte sich, schon fast hysterisch an die irritierte Kundschaft: "Sehen Sie, haben Sie das gesehen?" Niemand hatte etwas gesehen. "Der lässt mich nicht durch. Im eigenen Land versperren die einem den Weg."

Und weil darauf niemand mit erhobener Hitlergrußhand reagierte oder Fackeln und Mistgabeln aus den Handtaschen zog, um den Mann, der sich erdreistet hatte, trotz indischer Abstammung in einem Laden in der Münchner Sonnenstraße zu stöbern, durch die gute, alte Mob-Methode aus dem Blickfeld der Dame zu entfernen, setzte sie noch eins drauf.

 

"Der hat mich angefasst", kreischte sie plötzlich. Nun brachte der Mann mehrere Meter zwischen sich und die Frau, wieder schaute er sich hilfesuchend um. "Ich hab nicht -" "Im eigenen Land wird man betatscht von solchen!" Noch immer kein blutrünstiger Mob. Sie griff selbst zum äußersten Mittel: "Denen wünsch ich allen eine Vergewaltigung, denen allen, die das Gesindel hier haben wollen. Die sollen alle mal vergewaltigt werden. Das wünsch ich denen."

Wie vom Blitz getroffen stand ich bei den Pollovern, in der gegenüberliegenden Ecke des Ladens, beobachtete, wie die ältere Dame sich in ein wutschnaubendes Monster verwandelte, der indischstämmige Mann zum Schwerverbrecher wurde und die Verkäuferin die beiden aufforderte, die Diskussion außerhalb des Ladens fortzusetzen.

 

Getroffen hatte mich der Hass, der unverhohlen aus der Dame hervorgebrochen war, der für die kopfschüttelnden Beobachter und Beobachterinnen in keinem nachvollziehbaren Zusammenhang zu der Tatsache stand, dass der Frau nicht Platz gemacht worden war. Beim Thema "grundloser Hass" bin ich persönlich vorbelastet, dazu erzähle ich gerne in einem der nächsten Beiträge mehr - kein Wunder also, dass bei mir alle Alarmglocken schlugen.

 

Getroffen hatte mich der offen zur Schau gestellte Fremdenhass, die Meinung, man hätte als "richtiger Deutscher" Vorrechte gegenüber Menschen, denen man eine andere Abstammung ansieht. Als müssten Migranten den Blick senken und ehrfürchtig in den Staub fallen, wenn ein Deutscher einherschreitet.

 

Getroffen hat mich der "Wunsch" der Dame, es mögen doch die Frauen vergewaltigt werden, die ihren Hass auf Ausländer nicht teilen. Spätestens damit hatte sie sich mein Verständnis verspielt.

Ob und in welcher Form es einen körperlichen Kontakt zwischen dem Mann und der Frau gegeben hatte, kann ich nicht beurteilen. Ich war zu weit entfernt, blickte erst auf, als ich die Dame keifen hörte. Dass es anfangs nur ums Platzmachen ging, erst in der Steigerung ihrer Aufregung die Situation mit Sexualität in Zusammenhang kam, lässt mich allerdings vermuten, dass sich nicht einmal ihre Jacken gestreift hatten.

 

Als ich, immer noch benebelt, aus dem Laden ins schräg fallende Herbstlicht trat, Straßenlärm und Straßenbahngeratter mich wieder hatten, tat ich es mit leeren Händen. Ich hatte nichts gekauft. Doch etwas Unsichtbares trug ich nun mit mir.

 

Die Frage, was die alte Dame zu ihrem Verhalten getrieben hatte, was in ihrem Kopf vorgehen musste, um solche Hysterie und wüste Beschimpfungen einem Fremden gegenüber zu rechtfertigen, trieb mich um. Ich konnte es mir nicht vorstellen, weil es viel zu weit von meiner eigenen Denkweise abweicht, die eher um Ausgleich und Empathie bemüht ist.

 

Das ließ mich nicht los. So kam es, dass sich das Rätsel um den entfesselten Hass einer sonst harmlos anmutenden Dame mit der politischen und gesellschaftlichen Situation verwob und was lag da näher, als diese Faktoren auch in meinem noch formlosen Roman-Projekt zu verbinden. Ich wollte das alles verstehen, mir irgendwie erschließen.

 

Und was eignet sich da besser, als mithilfe einer Geschichte der Sache auf den Grund zu gehen?

Sicher war jedenfalls sofort: Mit einer so explosiven Figur im Cast wird die Inszenierung spannend!

Doch die vage Vorstellung einer einzelnen Figur macht noch keinen Roman. Gespannt auf die weiteren Zutaten? Neugierig, warum das Hass-Thema in mir auf übergroße Resonanz stößt? In Kürze dazu mehr.