Wie die Idee zu mir kam ...

... und einfach blieb

 

Ideen gibt es viele. Viel mehr, als jemals umgesetzt werden können. Das kommt mir oft gemein vor, weil ich mich entscheiden muss und wenn ich einer den Vorzug gebe, kommt die andere womöglich gar nicht dran. Einen Roman zu schreiben erfordert vielleicht nicht umbedingt jahrelange Arbeit, aber doch zumindest einige Wochen ungeteilte Aufmerksamkeit. Und während dieser Wochen versinken all die unerhöhrten Ideen wieder in Vergessenheit, müssen auf die nächste Gelegenheit warten, sich wieder in den Mittelpunkt zu drängen und ums Geschriebenwerden konkurrien. Kein schönes Los für all die schönen Ideen.

Und auch nicht für die Autorin, die ihre Notizen durchblättert, digital als Memos abgelegt und auch ganz oldschool in einfachen Notizheften, und versucht, die bestmögliche Wahl zu treffen.

 

Diesmal ist es mir besonders schwer gefallen, eine Idee auszusuchen. Zuerst, weil ich dachte, es wären so viele, dass ich mich nie entscheiden könnte. Eine wilde Hexengeschichte um falschen Zauber? Ein Beziehungsdrama, in dem ein mürrischer Kater die entscheidende Rolle spielt? Eine entführte Frau, die am Ende vielleicht doch mehr Täterin als Opfer war? Sie haben mir alle gefallen, bis ich mir die entscheidende Frage gestellt habe, die ich dem Drehbuch-Lehrer John Turby zu verdanken habe: Würde diese Geschichte dein Leben verändern?

 

Das ist die erste Frage, die er in seinem Buch "Anatomy of Story" dem damit arbeitenden Autor zu bedenken gibt. Und weil ich das Buch mit wachsender Begeisterung gelesen habe, unbedingt die Vorgehensweise ausprobieren wollte, die er vorschlägt, habe ich mir auch diese allererste Frage vorgenommen. Würde diese Geschichte dein Leben verändern?

 

Da saß ich nun. Mit durchgeknallten Hexen, intriganten Katern und paranoiden Ehefrauen im Kopf, die sich gegenseitig das Wasser abzugraben versuchten und mir wurde eins klar: Nö.

 

Keine von diesen Ideen, so cool und lustig, so verrückt und fantasievoll sie mir auch vorkamen, hatte wirklich etwas mit mir zu tun. Keine von ihnen würde etwas von dem transportieren, was ich auf dem Herzen habe. Das war ziemlich ernüchternd. Nein, ganz ehrlich - das war total miserabal. Ich habe mich selten so schlecht gefühlt.

 

Das mit dem Plotten war immer schon mein Schwachpunkt. Bei Kurzgeschichten ist es mir von Anfang an leicht gelungen, einen Bogen zu schlagen, die Geschichte als ganzes zu fühlen, schwupps, runterzuschreiben und am Ende hatte ich etwas vor mir, mit dem ich zunehmend zufriedener war. Der eine oder andere kleine Erfolg bestärkten mich. Doch an der Roman-Front hatte ich ein Banalitäts-Problem. Mir kam das, was ich als Ereigniskette von Anfang bis Ende konzipierte, immer irgendwie oberflächlich vor. Auch wenn ich alle Wendepunkte, eine nachvollziehbare Figurenentwicklung, aufeinander abgestimmte Anfänge und Enden hatte. Ich hatte nie das Gefühl, dass am Ende alles so wunderbar zusammengehört und wie von Zauberhand ein Ganzes ergab, wie bei den Kurzgeschichten.

 

Das hat mich gefuchst. Denn ich bin eine große Bewunderin dieser magischen Geschichten, bei denen Erzählweise und Inhalt ineinander greifen, bei denen jedes winzige Element eine Bedeutung im Ganzen hat, ja, dem Ganzen wiederum Bedeutung verleiht. Mich beeindruckt sowas sehr, ich liebe es, genieße es, all die Verknüpfungen zu erleben. Tja, und ich hätte es auch gerne mal hingekriegt.

 

Mein Weg hat mich von der simplen Methode "von der Prämisse zum Roman" über die Schneeflockenmethode, zur Heldenreise geführt, aber nichts davon hat mir weitergeholfen. Bei den meisten Varianten hatte ich das Gefühl, den Gaul vom Hinterteil her aufzuzäumen, mir selbst das Wasser abzugraben, mich zu früh auf die falschen Aspekte festlegen zu sollen. Meine selbst zusammengeschusterte Methode, bei der ich wilde Phasen freien Schreibens irgendwelcher spontaner Ideen mit dem Schema der Heldenreise und ausführlichen Personenfragebögen verband, war noch am besten mit mir kompatibel, aber eben auch nicht perfekt.

 

Und dann kam John Turby ins Spiel. Zuerst wollte ich ihn ja gar nicht mitmachen lassen, weil sein Werk nur auf Englisch erhältlich war und ich nach meiner Karriere als Hauptschülerin, die später in der Wirtschafts- und Berufsschule noch ein paar Brocken Englisch aufschnappte, mich dem Englischen nicht so gewachsen fühlte. Aber die Neugierde siegte, ich kaufte es und kämpfte mich durch. So schwer zu lesen war es am Ende dann doch nicht und ich bekam Lust, die Methode einfach mal zu testen.

 

Bis ich mit der ersten Aufgabe anfing, mich fragte, ob diese Geschichte mein Leben verändern würde und ich mir ehrlich eingestehen musste, dass keine meiner drei Favoriten-Ideen das Zeug dazu hatte. Nett, lustig, anders. Ja. Aber das wars auch schon. Habe ich dafür zwei Jahre lang bei der Schule des Schreibens "Kreatives Schreiben für Fortgeschrittene" studiert, insgesamt eine Million Wörter getippt und jede Freizeitminute mit Schreiben und Schreibratgberlesen gefüllt, statt einfach mal gelangweilt herumzusitzen und nichts zu machen?

 

Nö. Auch nicht.

 

 

 

Da saß ich nun, wollte eigentlich etwas schreiben, hatte Zeit und Raum dafür, aber auch eine fette Krise im Nacken.

 

Was würde mein Leben verändern? Was tut weh genug, um nach einer Veränderung zu rufen?

Ja, völlig klar, ein Roman sollte keine Selbsttherapie für egomanische Möchtegernautoren sein. Keine Selbstbeweihräucherung und keine Mitleidsnummer. Wahre Schicksale bilden eine eigene Sparte im Buchgeschäft, die man nicht mit fiktionalen Texten verwechseln sollte.

 

Aber sollte man nicht trotzdem über etwas schreiben, was einen bewegt? Über ein Thema, zu dem man aus tiefstem Herzen etwas zu sagen hat? Eines, das man mit so viel Kraft, Herz und Leidenschaft auf Papier bannen kann, dass allein das für Intensität sorgt? Macht es überhaupt Sinn, sich monatelang mit einer Story zu befassen, wenn das Herz nicht brennt?

 

Also: Her mit einem großen Bogen Papier, antreten zum Brainstorming. Es dauerte nicht lang, bis ich wusste, wohin es mich zieht.

 

Nachhause.

 

Seit einem halben Jahr lebe ich nun mit Mann und Kind nicht mehr in München, wo ich fast 15 Jahre lang daheim war, sondern in einem kleinen Dorf am Rande des Odenwaldes. Noch lange sind wir hier nicht angewachsen, nein, wir sind auch noch auf der Suche nach einem eigenen Haus, in dem wir festwachsen werden wollen. Aber das ist nicht, was ich meine.

Meine Sehnsucht nach einem Zuahause reicht sehr viel tiefer, sehr viel weiter zurück.

Da sind viele Umzüge innerhalb Münchens gewesen, Beziehungen, die vielversprechend begannen und in Tränen endeten. Erst fremde Menschen, die über die Jahre zu einer Familie wurden, zu Vertrauten. Doch meine Sehnsucht betrifft eine Zeit vor der München-Zeit.

Damals wohnte ich noch "Zuhause".

 

Bei meiner Familie. Bei den Menschen, mit denen ich verwandt war und bin.

Ich spüre noch heute, wie sich mir die Brust zusammenzieht, die Kehle eng wird, wenn ich mich daran erinnere, wie verzweifelt und allein ich mich oft gefühlt habe. Unverstanden, ungewollt.

Und immer, wenn ich damals besonders verzweifelt war, drängte sich ein Satz durch meine zugeschnürte Kehle: "Ich will Nachhause."

 

Ehrlich gesagt, habe ich das lange nicht verstanden. Wie kann man Nachhause wollen, wo man doch Zuhause ist und dieses Zuhause nicht eben perfekt ist. "Zuhause", das war für mich nichtsTolles, nichts, was ich nicht mit 19 Jahren mit wehenden Fahnen und der unbändigen Freude im Herzen, endlich frei und selbständig zu sein, in Windeseile Richtung München verlassen konnte.

 

Inzwischen weiß ich, dass meine Sehnsucht einem anderen Zuhause gilt. Das ist kein Ort, kein Haus, keine Beziehung. Meine Sehnsucht nach Zuhause ist die nach dem Gefühl, einfach richtig zu sein. Am richtigen Ort, zur richtigen Zeit, im richtigen Körper. Bedingungslos. Zuhause zu sein auf diesem Planeten, mit all den anderen Menschen, die diese Zeit mit mit teilen.

 

Manchmal kann ich es fühlen.

 

Mein Roman sollte sich also um dieses Thema drehen: Nachhause finden.

 

Wie auch immer die Einzelheiten aussehen würden, wer immer die Figuren, was immer der Schauplatz sein würde.

 

Eins wusste ich ganz sicher: diese Geschichte würde mein Leben verändern.

Und womöglich die Kraft haben, auch andere Menschen tief zu berühren.