Von der Idee zu ...

... ja, zu was eigentlich?

 

Da war sie also geboren, die Idee, eine großartige Geschichte zu schreiben, die meinem eigenen Herzen entspringt. Wenn das kein Grund zum feiern ist, ein bisshen im Kreis zu hüpfen und sich dann entspannt zurück zu lehnen, in der Annahme, dass sich nach dem harten Ringen um die Grund-Idee alles andere schon geben würde.

Der Taumel hielt tatsächlich ein paar Tage vor, in denen ich keine Zeit hatte, etwas konkretes zu tun. Es waren Schulferien und ich musste Legoteile auseinanderfummeln, mich beim Memory abzocken lassen und langsam einsehen, dass mein Sohn doch besser im Kickerspielen war, als ich.

 

Eine Geschichte übers Nachhausekommen. Ich wusste, sie sollte traurig-schön enden. Mit einer Szene, die den Leser hoffnungsvoll aus dem Buch entlässt und mit einem weiten Herzen. Ja, genau so. Ich wusste schon, wie sich die letzte Szene anfühlen musste.

 

Wenn ich so darüber nachdenke, ist dieses Schluss-Gefühl, der Klang der letzten Akkorde, die ich verklingen lassen möchte, immer ganz am Anfang meiner Geschichten da. Auch wenn die Idee noch so vage ist, auch wenn ich nicht den Hauch einer Ahnung habe, welche Figuren was erleben werden: Wie es sich anfühlen wird, das weiß ich.

 

Aber dann wurde es Zeit, ans Eingemachte zu gehen. Nur aus Gefühl besteht eine Geschichte dann ja auch nich. Eine Geschichte vom Nachhausekommen. Vom Suchen und Finden. Tja, und dann?

 

Zeit, großzügig Papier zu verschweden. Am liebsten mag ich schlichtes Din A-3-Druckerpapier in großen Päckchen, das ich dann schwungvoll bekritzeln kann. Herr Turby schlägt vor, in diesem Stadium des Geschichten-Baus nach einer Prämisse zu suchen. Manchmal wird unter dem Begriff "Prämisse" eine Formel verstanden, die sich ungefähr so liest: "verbotene Liebe führt zu Tod". Das wäre, kurz gesagt, Romeo und Julia gewesen. Mal schnell auf den Punkt gebracht. Vielleicht hatte der gute, alte Shakespeare genau diesen Satz (vermutlich in seiner Muttersprache) im Kopf, als er daran ging, das Stück zu schreiben. Keine Ahnung.

 

Jedenfalls gibt es durchaus Methoden zur Roman-Planung, die darauf hinauslaufen, ganz am Anfang einen solchen Satz hinzuschreiben und daraus dann eine Geschichte zu machen. Natürlich überlegt man eine Weile, bis der Satz auch passt, das ist logisch. Mein Problem damit war nur immer: ich kann aus einem kleinen, schnörkellosen Satz keine Geschichte machen. Ebensowenig, wie ich ein vages Gefühl mal schnell auf ein paar Worte herunterbrechen und mich dann darauf festlegen kann. Vielleicht ein bauartbedingter Fehler meinerseits, aber ich musste nach einigen Probeläufen einsehen, dass ich mich damit einfach selbst ins Aus schieße.

 

Jetzt sollte ich also schon wieder mit einer Prämisse anfangen. Da war mir Turby erstmal unsympathisch und ich habe überlegt, ihn in die Ecke zu pfeffern. Hab ich aber zum Glück nicht gemacht, sondern mich weiter durch den englischen Text gehangelt. Und siehe da, ich hatte mich zu früh geärgert. Was hier die Prämisse ist, ist nichts anderes, als eine Beschreibung der Geschichte in einem Satz. Mit ein paar mehr Worten und viel mehr Einzelheiten als "verbotene Liebe führt zu Tod." Da dürfte dann für Romeo und Julia stattdessen etwas stehen wie: "Die Kinder zweier verfeindeter Familien verlieben sich unsterblich ineinander und sterben, weil sie nicht zusammenkommen können, einen tragischen Tod." Na ja, könnte man vielleicht noch etwas schöner machen ...

 

Diese Prämisse klang also schon mal nicht so furchtbar abschreckend, wie die mit dem nackten Ursache-Wirkung-Gerüst. Trotzdem, je länger ich darüber nachdachte, versuchte herauszufinden, welche Möglichkeiten und Schwierigkeiten meine Story-Idee mit sich brachte, desto unsicherer wurde ich.

 

Zuerst dachte ich an einen Road-Trip. Für eine Suche nach einem Zuhause klingt das auch einleuchtend. Ich stellte mir einen Road-Trip vor, bei dem eine Protagonistin entschlossen loszieht, um einen Platz zu finden, der ihr Zuhause sein kann. Dabei könnte sie hier und da verschiedene "Zuhauses" kennenlernen, hier und da etwas Lustiges, Schräges, Krasses erleben, um dann am Ende - Moment! Das hatte nichts mehr mit dem Gefühl zu tun, das ich mir vorgestellt hatte. Ich war prompt schon wieder in meinem alten Fahrwasser und dabei, eine schön seichte, irgendwie beliebige Geschichte zu schreiben.

 

Also: nochmal probieren. Wie wäre es mit einer Mutter, die merkt, dass ihr ihrem Kind schlecht ein "Zauhause" sein kann, wenn sie selbst nicht ganz daheim ist. In sich selbst angekommen und im Reinen mit der Welt. Klang auch nett, eigentlich sogar sehr gut, wenn ich es recht bedachte. Bis mir einfiel "das innere Kind muss Heimat finden". Damit stehe ich auf Kriegsfuß.

Klingt vielleicht ein wenig albern, vor allem, wenn man bedenkt, dass es viele Menschen gibt, die dem Konzept von inneren Kind gerne zustimmen. Ich persönlich kann damit nicht so viel anfangen. Nicht, weil ich das Kindliche im Erwachsenen leugnen würde oder nicht wüsste, dass Verletzungen aus der Kinderzeit ein lebenlang entzündet sein und eitern können. Mir ist auch bewusst, dass man oft gerade auf die Reize wie allergisch reagiert, denen man früher oft ausgesetzt war, ohne damit Frieden zu schließen.

 

Nur irgendwie habe ich für mich nicht das Gefühl, dass das Innere Kind etwas spezielles ist, das anfängt, wütend aufzustampfen oder beleidigt mit Türen zu knallen, wenn ihm was nicht passt. Das, was da aufstampft, sauer wird und manchmal verzweifelt, das bin ich. Das ist keine irgendwann abgelegte Puppenhaut, auch keine kleinere Matruschka in einer größeren verkapselt. Das ist mein Wesen.

 

Natürlich bin ich erwachsen geworden, habe meine Impulse meistens unter Kontrolle, kann abstrahieren und rationalisieren. Ich habe ein bisschen Erfahrung darin, wann man die Klappe besser aufreißt und wann man sie hält. Manchmal liege ich auch daneben ...

 

Aber das, was da ein wenig zerschrammt und vernarbt, mit abgestoßenen wie spitzen Ecken, voller Eifer, Liebe und Leidenschaft in mir lebt, ist kein Inneres Kind. Das bin einfach ich.

Und was eine Heimat sucht, sich nach dem Gefühl sehnt, Zuhause zu sein, angenommen zu sein, das bin auch ich. Mit fünfundreißig Jahren, einigen grauen Haaren auf den Kopf und nicht mehr ganz faltenfrei, mit ein paar wunden Punkten, die ich meiner Vergangenheit (nicht nur der Kindheit) verdanke, mit träumerischen Hoffnungen und ein paar absurden Ängsten. Sicher nicht 100% heile, aber in einem Stück. Nicht aufgeteilt in eine ganze Herde von "Innenwesen". Das mag mancher anders sehen, aber so fühlt es sich für mich an.

 

Also keine Mutter-Kind-Geschichte zum Thema "Heimat finden".

 

Was dann?

 

Eine heimatlose Jugend, die zu einem Erwachsenen führt, der sich immer noch einsam fühlt, ja, das wollte ich gerne zeigen. Nur wie, ohne ein ewiges Familien-Epos über viele Generationen heimtloser Menschen zu schreiben oder das Leben einer Figur von der Kindheit bis zumindest ins Erwachsenenalter durchzuexerzieren. Ehrlich gesagt mag ich Geschichten am liebsten, die einigermaßen "dicht" sind. Wo die Ereignisse relativ rasch aufeinander folgen, die erzählte Zeitspanne nicht wesentlich über die Lesezeit hinausgeht. Das fühlt sich für mich am unmittelbarsten an, das hat beim Lesen am wenigsten Distanz, der Erzähler rückt komplett aus meinem Fokus. Das mag ich und so erzähle ich auch am liebsten.

 

Nach einigen weiteren Kritzel-Stunden und viel Papierverschleiß hatte ich endlich die zündende Idee:

Ich lasse zwei Menschen aus verschiedenen Generationen gemeinsam eine Geschichte vom Nachhausefinden erleben. Ein Teenager-Mädchen und eine alte Frau.

 

Das fühlte sich sofort richtig an.

 

Also ein Road-Movie mit einem Teenager und einer Alten auf der Suche nach einem Zuhause? Das war es noch nicht ganz, aber ich war meiner Geschichte plötzlich ein gutes Stück näher gekommen.

Eine Prämisse hatte ich zwar noch nicht gefunden, aber es sah so aus, als würde ich bald eine finden. ;-)