Zuhause fremd

Es klingt wie ein Luxus-Problem im Vergleich zu vielem anderen, was man tagtäglich hört. Nach Jammern auf hohem Niveau. Nach etwas ganz Normalen.

Das Gefühl, nicht ins eigene Elternhaus zu gehören. Ganz anders zu sein, als die restliche Familie, unverstanden, ungewollt.

Das Gefühl, als hätte der Storch uns an der falschen Schwelle abgelegt. Und niemand kam, um den Fehler zu korrigieren


Aber ist es tatsächlich ein Luxus-Problem, sich unverstanden zu fühlen?

 

Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr will ich entschieden widersprechen.

Nein, es ist nicht "halb so wild", auch wenn sich aus dem Klima im Elternhaus kein Straftatbestand ableiten lässt, wenn niemand verwahrlost, misshandelt, misbraucht wurde. Das elementare Gefühl, nicht willkommen zu sein, ist etwas, das sich durch ein ganzes Leben zieht.

 

Schon Neugeborene haben feine Antennen. Sie begreifen rasch, ob sie gewollt, geliebt und angenommen sind. Lange, bevor sie ihre Einschätzung in Worte fassen könnten. Doch es nützt nichts, kein Kind kann seine Eltern umtauschen oder kann irgendwohin, wo man es von ganzen Herzen willkommen heißt.

 

Trotzdem wachsen Kinder heran. Sie lernen, werden groß, durchleben ihre Entwicklungsphasen und womöglich fällt niemals jemanden auf, dass diese Kinder stets das unterschwellige Gefühl begleitet, irgendwie nicht ganz richtig zu sein. Ein Fehler. Etwas, das korrigiert werden muss, nachgebessert. Etwas, dass anecken wird, egal, wie sehr es sich bemüht, einfach weil etwas nicht stimmt mit ihm.

 

Es dauert lange, bis Kinder begreifen können, dass vielleicht eher mit den Eltern etwas nicht stimmt. Dass es vielleicht eher ihr Problem ist, dass ihnen ihr Kind auf die Nerven geht, dass es die falschen Neigungen, das falsche Temperament, das falsche Geschlecht nur in ihren Augen hat. Und dann? Dann weiß das Kind es zwar, oder vermuten es zumindest. Doch das Gefühl, es wäre falsch, hat sich längst in die tiefsten Schichten der Persönlichkeit eingegraben. Und dort wird bleiben, egal, was das Hirn darüber denkt.

 

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es viele Jahre gedauert hat, viele herzliche, unvoreingenommene Begegenungen mit Menschen, die nicht wussten, dass ich die bin, die nicht richtig war, bis ich fühlen konnte, dass ich dazu gehöre. Dass ich trotz meiner Fehlerhaftigkeit und meiner Eigenheiten genauso liebenswert und wertvoll bin, wie andere auch. Manchmal entgleitet es mir immer noch. Ich suche immer noch zuallererst die Fehler bei mir. Wenn mir jemand freundlich etwas anbietet, zucke ich im ersten Moment zurück, weil ich nicht weiß, wie ich damit umgehen soll. Ich habe Angst, Freundschaft zu schließen, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass jemand ausgerechnet mich nett finden finden könnte. Oder interessant. Oder... normal.

 

Für mich selbst bin ich noch immer eine Art Quasimodo, der verkrüppelt und hässlich durch die Gegend humpelt und froh sein muss, wenn ihn keiner mit faulen Eiern bewirft. Ihn keiner ausstößt.

Ich halte mich lieber am Rand einer Gruppe, ich warte lieber, bis jemand mich anspricht, will mich nicht aufdrängen, sage mir, dass ich gut allein zurecht komme. Natürlich tue ich das auch. Ich bin eher ein ruhiger Mensch, der das Alleinsein schätzt. Aber vielleicht ist das hauptsächlich deshalb so, weil ich mich nur mit mir allein wirklich sicher fühle. Nicht ganz so verkehrt.

 

Es sind keine sichtbaren Wunden, die ich trage, doch ich trage sie mit mir.

Mich selbst annehmen? Das ist schwer, wenn man sich nicht angenommen fühlen durfte. Vielleicht gelingt es niemals ganz.

 

Das ist meine Wunde. Mein Schmerz.

Und ich glaube auf die eine oder andere Weise ist es der Schmerz vieler Menschen. Auch wenn sie auf den Betrachter selbstbewusst und schön wirken. Manchmal ergibt sich ein Moment der Offenheit und andere erzählen mir von ihren Wunden. Von ihrem Gefühl, nicht richtig zu sein. Erst noch dies oder jenes schaffen zu müssen, bevor sie sich Mensch nennen dürfen. Im Erwachsenenalter noch ständig die Launen der Eltern ausbaden zu müssen, ohne je für etwas Anerkennung zu erfahren.

 

Ehrlich gesagt glaube ich, dass der Storch ganz schön viele Fehler macht. Er bringt oft Eltern und Kinder zusammen, die nicht so richtig zueinander passen - oder die sich vielleicht auch zu ähnlich sind, um miteinander klarzukommen. Wer weiß.

Das lässt sich nicht ändern. Jeder kann sich nur bemühen, seinen eigenen Kindern mehr Liebe und Verständnis zu schenken, als er selbst erfahren hat. Und das auch bei sich selbst probieren, so schwer es fällt.

 

Warst du als Kind rundum angenommen? Oder hast du mit dem unterschwelligen Wissen, irgendwie verkehrt zu sein, gelebt? Lebst du immer noch damit?

 

Vielleicht wird mein Buch dann etwas für dich sein. Denn genau das ist das Thema, das sich durch die Handlung zieht.  Die Heldin weiß, sie ist verkehrt, sie passt einfach nicht, so wie sie ist. Und damit ist sie nicht die einzige.  Nichts in ihrer Familie ist wirkich gut - und sie begreift, dass es für ein hässliches Entlein nur einen Weg gibt: Flügel ausbreiten und weiterziehn.